Auckland, Dunedin und Berlin, Pfisterer, Frankenberg und Wintermantel
...wer ein Keynote Speaker ist? Nach Meinung des 3. Berliner Generationsforums ist Wissenschaftsminister Peter Frankenberg so einer. Hinter dem Forum verbergen sich "der Wirtschaftsrat" und der RCDS . Zielgruppe des geplanten Vortrags von KS Frankenberg sind junge Leistungsträger aus Deutschland. Nein, was ein Keynote Speaker ist, wissen wir damit auch noch nicht.
...wie ihr kostenlos nach Berlin kommen könnt? Ihr müsst nur unter den ersten 200 Studierenden sein, die sich für besagten Kongress anmelden: Die ersten 200 angemeldeten Studierenden (Kopie der Immatrikulationsbescheinigung erforderlich) fahren mit der Deutschen Bahn AG kostenlos nach Berlin (2. Klasse, Hin- und Rückfahrt). Und erfahren vielleicht, was ein Keynote Speaker ist.
...dass ihr aber auch nach Auckland fahren könnt, wenn ihr Anglistik-Studi seid? Oder nach Dunedin, ebenfalls in Neuseeland, aber Nicht-ExpertInnen wohl nur aus dem guten alten Ravensburger-Spiel "Weltreise" bekannt, und, so ihr GermanistIn seit, dabei auch noch Deutsch als Fremdsprache unterrichten könnt? Diese und noch viel mehr Angebote findet ihr im Infozimmer des Akadmischen Auslandsamts, Raum 135 im CA (also der Seminarstraße 2), täglich von 10 bis 12 Uhr.
...dass Institute gut daran tun, euch mehr als 400 Euro pro Monat zu geben? Das liegt daran, dass die Mittel für wissenschaftliche Hilfskräfte neuerdings "dezentral budgetiert" werden. Das wiederum bedeutet, dass sich euer Sekretariat (oder wer auf Ebene des Fachs auch immer den Mist reingedrückt bekommen hat) damit rumschlagen muss, 23 bzw. 12 Cent (gesetztlich bzw. privat versichert) für jeden Euro eures Einkommens als Pauschale für die Sozialversicherung abzuführen, wenn ihr unter 400 Euro bekommt, während nur 9.75 Cent anfallen, wenn ihr über 400 Euro verdient. Arbeitet ihr hingegen länger als 87 Stunden, so sind 20.8 Cent fällig, ebenso, wenn ihr geprüfte Hilfskräfte seid. Bevor das Geschrei losgeht, der Sozialstaat sei verkrustet und gehöre entrümpelt: Wenn sowas eine zentrale Stelle auf einmal managt, ist das wenigstens noch handhabbar. Richtig blöd wird es nur, wenn im Namen des Marktes plötzlich hundert Stellen über die Uni verteilt immer wieder dieses Kalkül hinbasteln müssen.
...dass "Tätigkeiten in der Wissenschaft [...] oft alle Bedingungen, die an die Einstellung von Ein-Euro-Jobbern geknüpft" werden, erfüllen? Das ist nicht von uns (nicht, dass uns wieder wer die Herabwürdigung anderer in der öffentlichen Meinung vorwirft), sondern aus einer Presseerklärung der Uniklinik Heidelberg, die ihr soziales Engagement angesichts der Lohndrückerei lobt. Wahrhaft eine entschlossene Suche nach den Grenzen der Bedeutung des schönen Wortes "lapidar".
...dass uns der Landtag gegenüber dem Rektor den Rücken gestärkt hat? Das Rektorat hatte in seinem Mahnbrief an uns ja bemängelt, dass wir die Wörter "FlowTex" und "Studiengebühren" gemeinsam in einem Artikel erwähnt haben. Der Landtag nun hat am 15.12.2005 in einer Sitzung sowohl über den Skandal um FlowTex (ab Seite 7566 im Plenarprotokoll) als auch (in zweiter Lesung) über die 500 Euro Studiengebühren (ab Seite 7584) debattiert, nur getrennt durch einen Null-Tagesordnungspunkt. In den Protokollen könnt ihr von den Protestaktionen mutiger Studis lesen, vom Lob des Anti-Parkgebührenhelden Pfisterer für die Schwarz-Grüne Gebührenfundi Theresia Bauer und seinen schönen Lapsus "in anderen Ländern gibt es [...] keine Veränderungen der Studierendenzahlen [sic! Die CDU wird P.C.] durch soziale Selektion" goutieren. Lest weiter die recht brauchbare Rede von Carla Bregenzer und die ekelerregenden Zwischenrufe von CDU-Männern, die "Frauenfeind" offenbar noch als Kompliment auffassen, lest atemberaubend dummes Zeug von der FDP/DVP, lest eine Sammlung schlechter Argumente von Theresia Bauer und schließlich chirurgische Schläge gegen eure geistige Gesundheit von unserem geschätzten Minister. Es lohnt sich.
...dass nach dem Gebührenpunkt in der eben erwähnten Sitzung noch über die "Abwehr von Gefahren für die Agrarstruktur" debattiert wurde, um dann einen Entwurf der Grünen (auch die machen manchmal nette Dinge) für ein Informationsfreiheitsgesetz auf Landesebene abzubügeln? Dieser Teil des Protokolls erreicht die von den vorherigen Punkten gesetzten Entertainment-Standards durchaus, vor allem wegen des Rumgedruckses der FDP, die zwar gerne "Bürgerrechtspartei" wäre, aber leider mit der CDU koaliert. Schade ist die Abbügelei trotzdem, auch wenn selbst dieses Gesetz den Blick in die Bücher der Uni Heidelberg ("wie viel Geld haben die schon wieder für Starberufungen verschleudert?") nicht erzwingen könnte.
...dass im Juni 2005 54% der ungeprüften Wihis, 46% der geprüften Wihis, 33% der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, 23% der RätInnen und 12.3% der Profs an der Uni Heidelberg weiblich waren? Diese bemerkenswerte Degression könnt ihr dem Tätigkeitsbericht der Gleichstellungsbeauftragten der Uni (das hieß vor den Zeiten des Gender Mainstreaming mal Frauenbeauftragte) für 2004/05 entnehmen. Aber immerhin, der Tätigkeitsbericht verkündet, dass sich die Zeiten allmählich wandeln: Sogar in der Königsklasse der Berufungen standen 2004 immerhin zu 24% Frauen an den Spitzen der heiligen Listen. Damit dürfte sich der Trend zu mehr Frauen im höheren Adel des Feudalsystems Uni fortsetzen -- 1994 war der Frauenanteil unter den Profs erst 5.6%. Die Uni Heidelberg hat auch Nachholbedarf, denn im Bundesdurchschnitt waren 2004 bereits 14% der Professuren durch Frauen besetzt.
...dass mittlerweile sogar der Boss der Bosse weiblich ist? Die HRK nämlich hat am 21.3. Margret Wintermantel, die zuvor schon Ritter der Ehrenlegion geworden war, zu ihrer Präsidentin ernannt. Witze über "zieht euch warm an" sind wohl nicht geschmackvoll, aber angesichts von Wintermantels Engagement für Studiengebühren angebracht. Ihr Vorgänger Gaethgens war natürlich auch nicht besser.
Walter I. Schönlein
Vom Fluch der späten Geburt
Für die meisten der Menschen, die sich in den letzten Wochen neu immatrikuliert haben, ist die unselige Äußerung Helmut Kohls über die Gnade der späten Geburt schon fast prähistorische Geschichte. Das ist auch deshalb traurig, weil sie auf diese Weise vielleicht weniger leicht begreifen, dass sie den Fluch der späten Geburt tragen -- sie studieren hinein in eine von neokonservativer Konterreform geprägte Gesellschaft und eine Universität, die diese reflektiert.
"Konterreform" will heißen, dass die Ergebnisse der Reformen der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts Stück für Stück zurückgenommen wurden - und noch werden. Als Leitbild dient hierbei eher die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts (wir sagen nur "Elite"). Als Folge steigt der Druck auf den Einzelnen und es ergibt sich eine Vereinzelung der Menschen -- von Menschen, die Konkurrenten sind und sich als solche wahrnehmen, und in der Konsequenz noch weniger in der Lage sind, weiteren Zumutungen Widerstand entgegenzusetzen.
Diese Konterreform hat viele Gesichter. Was sich draußen, außerhalb der Universität, als Hartz IV, Großangriff auf die Bürgerrechte ("Sicherheitspaket"), Privatisierung, Abbau der Flächentarifverträge etc. pp. darstellt, äußert sich in der Universität in Studiengebühren (ab nächstem Jahr erhoben), verschärfter Kontrolle in Bachelor- und Master-Studiengängen, verschärftem Druck in formaler (Studienzeit) und inhaltlicher ("Employability", d.h. Ausrichtung der Studienpläne an den Bedürfnissen der Industrie) Sicht, Zugangstests, dem Durchgriff privater "Sponsoren" auf das Geschehen an der Uni, ausufernder Kontrollbürokratie für die MitarbeiterInnen und vielem anderen, von dem ihr in unseren Archiven lesen könnt.
Die Konterreform ist in dieser Form noch nicht alt -- erstaunlicherweise kennen viele derer, die heute von der "Notwendigkeit" derartiger Veränderungen daherschwadronieren, all dies nicht -- ihr Studium war kostenlos und leidlich frei, ihr Abitur taugte zum Hochschulzugang, und sie durften in ihrem Studium auch mal interessante Sachen machen, ohne schlechtes Gewissen wegen "Zeitverschwendung" haben zu müssen. Es ging also mal anders. Warum bitte jetzt nicht mehr?
Ja, warum? "Weil 'es' notwendig ist," sagen die Konterreformer. Und warum ist 'es' notwendig? "Wegen der Globalisierung," sagen die Konterreformer. Und zack, schon haben sie zwei Mal gelogen. "Globalisierung" muss mitnichten heißen, dass Sweatshoparbeiterinnen in Bangladesch gegen Gewerkschaften in der BRD, dass Studis gegeneinander ausgespielt werden. Nein, dass Globalisierung dies de facto heißt, ist schlicht Politik, die vom Weltmarkt-Mitspieler Nr. 1, der BRD, gemacht und nicht erduldet wird.
Insofern ist es unsere, auch eure, liebe Erstis, Verantwortung, den Kram nicht zu erdulden, sondern zu ändern, auch wenn das zunächst mal nur heißt, die verschiedenen Angriffe abzuwehren. Und um das zu tun, müsst ihr zunächst mal den Glauben aus euren Köpfen werfen, ihr wärt unfähig oder gar SchmarotzerInnen, wenn ihr nicht ein Semester unter Regelstudienzeit abschließt. Genauso verkehrt ist die Sicht, eure Mitstudis seien eure KonkurrentInnen -- im Gegenteil, sie sind eure Verbündeten bei der Aneignung und Entwicklung von Wissen ebenso wie beim Widerstand gegen die Angriffe aus Wissenschaftsministerium und Rektorat. Ein guter Platz, um eine Zusammenarbeit mit ihnen zu organisieren ist (oder sollte sein) eure Fachschaft.
Und schließlich könnt ihr euch auf dem weiten Feld umschauen, welches die Uni (und dann auch die Gesellschaft darüber hinaus) zurzeit halt so ist. Ein paar Highlights der letzten Zeit:
Fluch der späten Geburt hin oder her: Kämpfen mussten, das dürfen wir mal paternalistisch einwerfen, auch die, die vor euch, liebe Erstis, auf den harten Klappsitzen der Hörsäle saßen -- Studiengebührenfreiheit, verfasste Studierendenschaften in anderen Ländern und erste Entwicklungen weg von der reinen Frontalvorlesung kamen auch in den 70er Jahren nicht von selbst. Also: Nur munter gestritten. Ob ihr nachher einen Arbeitsplatz bekommt oder nicht, hängt nicht so sehr daran. Ob ihr und Generationen nach euch tausende von Euro für jedes Semester werdet zahlen müssen und dafür dann nur Industriepropaganda vorgesetzt bekommt, schon.