Über die Juniorprofessur hatte das Rektorat heute am späten Nachmittag informieren wollen, jene Wunderwaffe gegen die zugegebenermaßen arg antiquierte Habilitation, die BMBF-Chefin Bulmahn in der jüngsten HRG-Novelle in Stellung gebracht hat. Unter Studis war die Novelle vor allem umstritten, weil das SPD-Wahlversprechen Studiengebührenverbot fehlte, doch zeigt sich nun mehr und mehr, dass der Protest diesmal eigentlich vom wissenschaftlichen Nachwuchs hätte kommen müssen.
Wir hatten schon vor einer Weile von einer einschlägigen Veranstaltung in Mannheim berichtet, die im Bezug auf Fakten etwas unbefriedigend geblieben war. Immer noch ist viel im Fluss, und Rektor Hommelhoff musste oft genug mit den Schultern zucken. (Was aber in diesem Fall ein Zeichen von Stärke ist, denn all die offenen Fragen will Hommelhoff jetzt mit zum Minister nehmen, um ihre Beantwortung voran zu treiben). Jedoch sind schon genug Konturen zu erkennen, um zu sehen, dass es wenig zu lachen geben wird für all jene, die jetzt oder in nächster Zeit zwischen Abschluss und (noch) Habilitation auf allerlei zusammenimprovisierten Stellen strampeln, kämpfen und dabei noch den größten Teil der Forschung und einen guten Teil der Lehre schmeißen (werden).
Die Nachricht, die sie bei der heutigen Veranstaltung erreicht hätte: Bye-bye. Und das lässt auch für Studis nichts Gutes ahnen, so wenig Gutes in der Tat, dass der Assyriologe Maul von einem "intellektuellen Morgenthauplan", der großangelegten Agrarisierung ganzer Institute, für Fächer wie seines sprach. Aber von vorne:
Idee der Juniorprofessur ist, in einiger Analogie zu den Verhältnissen im "Ausland", Menschen nach der Promotion eine klare Perspektive zu geben, den so genannten "tenure track", also eine Ausbildung, an deren Ende mit guter Wahrscheinlichkeit eine Dauerstelle, in der BRD idealiter eine Professur steht. Gegenwärtig ist demgegenüber am Anfang einer wissenschaftlichen Laufbahn absolut nicht klar, ob der/die hoffnungsfrohe Ex-Studi als Prof oder Sozialfall endet. Der Mittelbau, Menschen in gesicherten Arbeitsverhältnissen unterhalb der Professur, der früher mal WissenschaftlerInnen, die keinen Ruf erhielten, in Lohn und Brot halten mochte, ist fast abgeschafft, und die nach der Habilitation typischerweise auf 40 zugehenden PrivatdozentInnen werden hierzulande von der Industrie nicht gerade mit offenen Armen empfangen.
Die Juniorprofessorin hingegen soll, so sie denn zwei Evaluationen übersteht, fast sicher eine volle Professur bekommen. Dabei erfreut sie sich größerer Unabhängigkeit als die bisher in vielen Fällen quasi in Leibeigenschaft des/r Profs gehaltenen HabilitandInnen. Ja, sogar eine eigene Ausstattung, die mancher jetzigen C3-Stelle abgeht, ist vorgesehen. So viel Paradies kommt nicht ohne Preis: Zwischen vier und acht Semesterwochenstunden Lehre steht auf dem Programm des Juniorprofs -- es war nicht nur einigen der bei der Rektoratsveranstaltung Anwesenden offensichtlich, dass diese auf den ja massiv verlangten wissenschaftlichen Output (oder die Qualität der Lehre) drücken muss, zudem ja auch fleißig Drittmittel eingeworben werden sollen und sicherlich auch die eine oder andere rituelle Aufgabe auf die Akolyten des Bildungstempels wartet.
Dennoch mag mensch den Berliner Überlegungen so weit folgen. Der Weg in tausendfache persönliche Katastrophen öffnet sich aber, sobald das Geld ins Spiel kommt. Kosten nämlich dürfen die Sachen nichts, und das heißt, dass sowohl die Mittel für die JuniorprofessorInnen als auch ihre späteren fast sicheren Stellen aus dem kommen müssen, was die Länder und damit die Unis bereits haben. Die Konsequenz: Die wenigen verbliebenen Mittelbaustellen werden vielfach geopfert (in Heidelberg, so der Rektor, soll das nicht passieren), freiwerdende W3-Stellen (W3 ist die neue, die bisherigen C3- und C4-Stellen subsummierende Besoldungsgruppe) werden in Erwartung der Juniorprofs nicht besetzt. Wer jetzt vor der Habilitation steht - oder sogar schon im Begriff steht, sie abzugeben, sollte sich schon mal umsehen, wo sich das nächste Arbeitsamt befindet.
Aber es kommt noch bunter: Mehr als sechs Jahre befristeter Beschäftigung nach der Promotion sind jetzt auch praktisch verboten, und das umfasst Stellen an halbstaatlichen Einrichtungen (etwa der MPG) ebenso wie drittmittelfinanzierte Stellen. Mit anderen Worten können sich die armen frisch-, nicht mehr so frisch- oder ungebackenen PrivatdozentInnen nicht mal auf Projektstellen über Wasser halten, denn: Sechs Jahre vergehen gern mal bis zur Habil. Ciao. Immerhin, so Kanzlerin "Dame" Romana Gräfin Hagen, gibt es vielleicht ein paar arbeitsrechtliche Tricks, um besonders nette und exzellente Menschen doch noch hier und da auf Zeit unterzubringen, wenn sie nicht zu alt sind -- welcher Trost.
Das Inferno wird perfekt, wenn noch das Frankenberg-Ministerium dazukommt, das schließlich das Hochschulrahmengesetz in einer Novelle des UG umzusetzen hat. Das nämlich scheint unbefristete Mittelbaustellen für WissenschaftlerInnen nun auch de jure abschaffen zu wollen und durch einen "akademischen Rat auf Zeit" mit starker Dienstleistungskomponente ersetzen zu wollen. Wer auf so einer Stelle gegen die Wand laufen soll und was nach Ablauf der Befristung mit diesen Menschen -- die sich sicher nicht werden gesundpublizieren können -- passieren soll, wusste von den rund 150 Anwesenden niemand zu sagen, obwohl die geballte Geisteskraft einer großen Prof- und Dekaneschar versammelt war. In diesem Szenario ist auch völlig unklar, wer die von den Juniorprofs einzuwerbenden Drittmittelstellen eigentlich besetzen soll, schließlich tickt ja auch für mögliche BewerberInnen für diese die Sechs-Jahre-Uhr. Am Rande sei noch erwähnt, dass die Frage, wer denn nun die Daueraufgaben übernimmt, die bisher der Mittelbau leistete, letzlich offen blieb. Die JuniorInnen und RätInnen auf Zeit werden nicht zu viel Kraft dafür über haben...
Es bleibt ein Bild eines Gesetzes, das Trotha nicht hätte schlimmer hinpfuschen können, geschrieben offenbar ohne auch nur einen Gedanken an die weiteren Konsequenzen: Wer einen "tenure track" öffnen will, muss auch Stellen schaffen, auf die er hinführen kann. Wer den Befristungswahnsinn begrenzen will, muss auch für Möglichkeiten sorgen, die die aus ihren prekären Beschäftigungsverhältnissen herausgedrängten Menschen vor dem totalen Aus bewahren. Mögen die SozialdemokratInnen auch beste Intentionen gehabt haben (was zu bezweifeln steht), das HRG in seiner gegenwärtigen Formulierung verheizt eine komplette Generation des wissenschaftlichen Nachwuchses, bringt folgende Generationen in haarsträubende Situationen, lässt Böses für die Zukunft universitärer Forschung ahnen und wirft drohende Schatten auf die Lehre in den Zeiten der Junioren.
Besonders hart wird es Niedersachsen und Berlin treffen, die, so mutmaßte Rektor Hommelhoff, wohl über Insiderinformationen verfügten und zwei Tage nach Freiwerden von Anschubmitteln für die Juniorprofessuren die Bundestöpfe schon abgeräumt hatten. Dementsprechend hart wird dort der Übergang auf das neue System werden, während Baden-Württemberg in diesem Fall mit dem gewohnt betonköpfigen Wissenschaftsministerium besser fährt, das sich von dem alten -- schlechten, aber immerhin nicht katastrophalen -- System nicht so plötzlich verabschieden möchte. Dementsprechend ist damit zu rechnen, dass das UG nicht vor 2003 mit dem HRG konform sein wird, vorher also alles weitergeht wie bisher, und dass auch danach die Dinge eher behutsam anlaufen. Heidelberg will zunächst mit 10 Juniorprofessuren (ohne Medizin) ins Rennen gehen, also nicht mal in jeder Fakultät eine. Hommelhoff betonte auch, er und das Rektorat sähen das ganze als Experiment, wollte sich aber auch auf Nachfrage nicht auf genauere Versuchsbedingungen festlegen lassen und schon gar keine Hoffnungen keimen lassen, der ganze Unfug könne wieder abgeblasen werden. Bis dahin können wir nur allen empfehlen, sich das neue Gesetz haargenau durchzulesen - auch geprüfte Hilfskraftzeiten werden auf die Beschäftigungszeit angerechnet, die man nicht überschreiten darf und die Dauer der Promotion zählt auch - mit oder ohne Beschäftigung!
Nicht wenige zwischen Hand- und Spanndiensten für ihre Profs, Dienstleistung, Publikationsdruck, Lehrverpflichtung und Existenzsorgen zerrissenen Postdocs und HabilitandInnen mögen geglaubt haben, es könne nicht mehr schlimmer kommen. Das war ein Irrtum. Ein Irrtum, den auch die Studierenden zu spüren bekommen werden, vermutlich zunächst die in Berlin und Niedersachsen. Hoffen wir, dass dort noch genug Protestkultur übrig ist, um eine baldige Re-Novellierung des HRG zu erzwingen.
Nachtrag (14.1.2002): Eine Synopse der Änderungen dieser HRG-Novelle hat die GEW zusammengestellt. Bei allem Gruselkram ist doch immerhin nett, dass die DoktorandInnen jetzt auch als Mitglieder der Uni geführt werden. Frohlocket.
Nachtrag (18.1.2002): Der AStA der TU Darmstadt hat den Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (6. HRGÄndG)ins Netz gestellt. Der Entwurf enthält Regelungen zu Bachelor-/Master-Studiengängen, Studiengebühren und verfasster Studierendenschaft.
Nachtrag (19.1.2002) Den Volltext des neuen HRG in einer nichtamtlichen Form hat die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Uni Köln ins Netz gestellt. Eine ausführliche und laufend aktualisierte Sammlung von Informationen zur HRG-Novellierung findet sich bei der Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de.
Nachtrag (16.2.2002) Der Spiegel hat auch eine Sammlung von Artikeln zu dieser Thematik zusammen gestellt und bei der taz findet sich ein informativer Artikel zu den nichtvorhandenen Übergangsregelungen.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 22.01.2002, 23.01.2002, 13.02.2002, 06.03.2002, 24.03.2002, 22.05.2002, 20.06.2002, 21.08.2002, 27.07.2004, 16.02.2005