Nach dem 11.9. ist nichts mehr, wie es einmal war -- und so lud das für seine überbordende Diskussionsbereitschaft normalerweise nicht bekannte Rektorat heute zu einer Podiumsdiskussion zum Thema "Aufruhr im Elfenbeinturm?", nämlich der Bedeutung der Terroranschläge in New York und Washington für die Uni an sich, in die Heuscheuer.
Der Saal war nicht gut gefüllt, vielleicht 50 Menschen hatten sich am späten Samstagnachmittag eingefunden, um ExpertInnen aus Islamwissenschaften, Amerikanistik, Soziologie, Politologie, Jura sowie VertreterInnen der Studierenden, des Akademischen Auslandsamts und der Kriminalpolizei zu lauschen. Die treibende Kraft hinter der Veranstaltung, Prorektor Angelos Chaniotis, vermutete hinter der Abwesenheit größerer Mengen "Verdächtiger" (nämlich Moslems) möglicherweise den Fauxpas, den Termin gerade an den Beginn des Ramadan gelegt zu haben.
Konsens war ziemlich klar die Forderung nach Dialog, schon zu Anfang verlangte Chaniotis, die multikulturelle Universität, in der junge Menschen aus allen Ländern und Kulturen gemeinsam nach Wissen (und Scheinen, d.S.) streben, als Chance zur Bewältigung von Konflikten zu begreifen. Auch der wie immer ausgesprochen unsympatische Jurist Mußgnug, der nicht müde wurde, zu betonen, dass die Attentäter Verbrecher und keine Moslems seien, stellte dagegen die Utopie des Semper Apertus.
Vielleicht naturgemäß etwas differenzierter sah das der Islamwissenschaftler Raoul Motika, der berichtete, dass es auch und gerade unter genau den Menschen im islamischen Kulturkreis, die westlichen Werten gegenüber offen seien, Verständnis für die Attentäter gebe, eben weil sie den Westen an seinen eigenen Maßstäben messen würden und er diese Probe allzuoft nicht bestehe. Hier grassiere das Gefühl, zum Objekt der Geschichte gemacht zu werde, und das be weitem nicht nur in Aserbeidschan oder anderen völlig marginalisierten Staaten, sondern auch in "modernen", mit dem Westen quasi verbündeten Republiken, der Türkei etwa oder Tunesien.
Sein Rat war, speziell mit diesen Menschen in einen Dialog zu treten, sie etwa analog zur Poetikdozentur zu Gastdozenturen einzuladen, wobei weniger akademische Reputation als vielmehr kulturelle Relevanz über die Rufe zu entscheiden hätte. Ob es zu so etwas kommen kann, ist allerdings noch offen -- er berichtete auch, dass sein Seminar seit Jahren nicht mehr über Reisemittel verfügt und deshalb Veranstaltungen mit Reformtheologen vor zwei Jahren nur mit Hilfe der Fachschaft und der Heinrich-Böll-Stiftung finanzieren konnte.
Das Thema Rasterfahndung wurde von der Studierendenverterterin Katharina Lack aufgebracht; nach wie vor wissen wir nicht viel mehr als dass die Uni Heidelberg Daten ans Landeskriminalamt gegeben hat. Welcher Natur und welchen Umfangs diese waren, ist nach wie vor unklar. Der Vertreter der Heidelberger Kripo erklärte immerhin, diese Daten könnten je nach Lage der Dinge bis zu 10 Jahre aufgehoben werden, sollten aber bei unschuldigen Personen schon nach zweien wieder gelöscht werden, wenn sich nicht vorher ein guter Grund ergibt, sie doch zu behalten. Sein Referat -- nicht gerade anregend vorgetragen -- erhellte zudem noch, dass die Polizei glaubt, Al-Quaidas Organistation verfüge über fünf Milliarden Dollar, unterstütze damit im Augenblick fast alle islamistischen FanatikerInnen, die sie finden könne und kommuniziere übers Netz und über Gebetshäuser. 777-3299-377A-B8901-erwachen.
Viele weitere durchaus interesante Informationen konnte mensch aus der Heuscheuer mitnehmen -- Mußgnug etwa behauptete, der Anteil der Verbrecher an der Uni liege unter einem Promille, die Soziologin Uta Gerhardt spekulierte über den Atavismus hinter der Missachtung der Individualität bei Selbstmordattentätern, der Amerikanist Detlev Junker erläuterte die manichäistische Zivilreligion der USA, in der die Lichtgestalt von Freiheit, Recht und Handel gegen das Böse und Dunkle kämpft, und schließlich definierte der Politologe Frank Pfetsch endlich, Terrorismus sei die "ideologische Selbstermächtigung zur Gewalt für einen höheren Zweck" -- das wiederlegt auch gleich die Aussage der immer noch stattfindenden Montags-Mahnwachen, Krieg sei immer Terror, denn immerhin ließ sich Schröder ermächtigen.
Eine Veranstaltung, die von gepflegtem Diskurs eines leider übergroßen Podiums geprägt war: Antworten sollte es nicht geben, und eigentlich gab es sie auch nicht.