Am 30.4. durften wir freudig erregt aus den Betten springen, denn der Rektor der Universität Heidelberg hatte zu einem Vortrag des Ministerpräsidenten zum Thema Hochschulpolitik geladen. Das Auditorium -- nicht gerade handverlesen, aber dennoch elitär angehaucht -- sammelte sich in der Aula der Alten Universität und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einem obligatorischen Willkommen des Universtätsrektors Hommelhoff. Seine weisen Worte darüber, dass es im Studium nicht nur um Fachkompetenz ginge, sondern auch Respekt vor anderen oder Dialogfähigkeit zu entwickeln seien, verloren durch die Dreistigkeit etwas an Glanz, mit welcher er der Zuhörerschaft die genaue Kenntnis diverser Reden des Ministerpräsidenten unterstellte.
Ein jeder, so Hommelhoff, erinnere sich noch der Rede Teufels, mit welcher er 2000 die Feier des 100. Geburtstags von Hans Georg Gadamer geziert hatte. Zumindest die Heidelberger Studierenden dürfte diese Feststellung gelinde überrascht haben, denn seinerzeit hatten nur ganze drei von ihnen Einlaß in jene Halle gefunden, in welcher der anerkannte Philosophie-Experte Teufel sich zu den Gedanken Gadamers geäußert hatte. Aber das übrige Publikum wusste zweifelsohne Bescheid, ebenso wie es eine weitere von Hommelhoff erwähnte Rede Teufels detailgenau zu kennen schien. In dieser soll sich Teufel in München gegen die Enthauptung von Dissidenten ausgesprochen haben. Ein warmer Applaus folgte.
Man durfte also erfreut sein über die Tatsache, daß der Ministerpräsident eines Bundeslandes die freiheitlich-demokratische Grundordnung schätzt und respektiert. Und schon ging die Freude weiter: Teufel erhob sich und dankte Ehrensenator Lautenschläger für die Spende etlicher Millionen, die zum Bau eines Kinderkrankenhauses verwendet würden. Erneut freundlicher Beifall. Dann stieg der Ministerpräsident in die Bütt.
Wettbewerb, das war das Credo des Landesvaters. Wir erfuhren, dass es in den USA ganz viel davon gibt und dass alle Universitäten deshalb so toll sind wie Stanford oder Harvard. Er musste es ja wissen, denn schließlich war er ganze zwei (zwei!) Wochen durch jenes vielgelobte Land gefahren und hatte sich so die Informationen beschafft, die man braucht, wenn man Hochschulen reformieren will. Es dürfe nicht sein, so der Vielgereiste weiter, dass ideolgischer Ballast aus den 70-ern die Fahrt jener Flotte verlangsame, welche er nie genau benannte, als deren "Flaggschiffe" er aber die Universitäten nannte. Deshalb über Bord mit der Subsidiarität im deutschen Bildungswesen, hissen wir die schwarze Flagge der Autonomie! Sobald diese über unseren Schiffen weht, so konnte der mitgerissene Zuhörer ahnen, stehen den deutschen Bildungsinstituten nicht nur die Sieben Weltmeere offen, sondern auch die dazugehörigen Küsten und diverse Plätze an der Sonne samt Liegestühlen.
Bevor irgendein gottloser Klabautermann an dieser Stelle bösartige Verleumdungen vermutet, sollte eingeschoben werden, dass die Zuhörer ganz auf ihre Phantasie zurückgreifen mussten, um sich das Anliegen des Ministerpräsidenten vorstellen zu können: Denn es folgte keine Definition von "Wettbewerb" oder "Autonomie". Also weiter. Wettbewerb und Autonomie! Freilich müssen irgendwelche Assyriologen oder Germanisten nicht befürchten, jetzt ebenso den Jolly Roger hissen zu müssen wie die für den internationalen Kaperkrieg ungleich besser gerüsteten Volkswirtschaftler oder Juristen. Wenn es auf den Weltmeeren der Bildung demnächst vorrangig um die Rekrutierung internationaler Elitestudenten und die Erbeutung dicker Truhen voller Drittmittel gehen soll, so dürfen auch Geist, Kultur und Religion doch nicht gänzlich fehlen.
Das solle uns (das Geschwader Baden-Württemberg) freilich nicht davon abhalten, weitere Einsparungen an den Universitäten vorzunehmen, hoho. (Schließlich wurde ja in den letzten Jahren soviel darin investiert. Oder etwa nicht?) Denn das eine Bildungswesen ist dem anderen ein Wolf, so ergibt sich aus unseren Ahnungen schlüssig. Und im Hobbes´schen Naturzustand kann keine Rücksicht auf Fisimatenten wie die Zentrale Vergabestelle (ZVS), unrentable Fächer oder die Umsetzung von sozialdemokratischen Hochschulrahmengesetzen genommen werden. Vor allem nicht, wenn ein solches das Verbot von Studiengebühren festschreibt, also einfach grottenfalsch ist. (Gegen die ZVS will das Land übrigens trotz vollmundiger Ankündigungen doch nicht klagen, weil die Erfolgsaussichten wohl doch zu schlecht sind, wie der Landesvater fast kleinlaut in der anschließenden Fragerunde zugeben musste; vom Klagen über die verfassungswidrige ZVS an dieser Stelle seiner Rede hielt ihn das jedoch nicht ab. Aber wir schweifen ab.)
Jedenfalls entdeckte der Ministerpräsident just bei jenen Punkten im HRG das Widerstandsrecht, bei denen der Bund Gleichmacherisches fördern könnte. Und dem schloss sich der atemlose Zuhörer natürlich gerne an: Baden-Württemberg strebt eine hohe Autonmie für seine Hochschulen an, wozu sich dann widersetzen? Wozu sich der Freiheit in den Fischgründen der Weltbildung widersetzen? Nicht nur die zuständigen Stellen, sondern auch der Landesvater wissen glänzend Bescheid über die Hochschulen im Land, schließlich hat er sich doch nach eigener Auskunft einen halben Tag mit seinem Wissenschaftsminister unterhalten. Eine ganztägige Konversation nicht nur mit ebenjenem, sondern auch mit der Kultusministerin dazu soll folgen, dann wird er auch gerüstet sein für den Rest der Welt. Erschlagen von so viel Kompetenz, die nicht nur rhetorisch zu glänzen, sondern auch in einer darauffolgenden Fragestunde alle Kritik abzublocken wusste, wankten wir nach Hause. Unter dem Segel solcher Sachkenntnis und Dialogfähigkeit dürfen wir uns getrost schlafen legen. Gute Nacht Baden-Württemberg.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 29.05.2002