Die OECD veröffentlicht ihre diesjährigen "Education at a glance"-Zahlen
Alle Jahre wieder veröffentlicht die OECD ein massives Werk über den Stand von Bildung und Ausbildung rund um die Welt: Education at a glance (4 Megs PDF; angeblich braucht mensch ein Abo, um auf das Zeug zugreifen zu können -- die Uni Heidelberg hat offenbar eins. Menschen ohne Abo können immer noch die Zusammenfassung mit Hardcore-Zahlen lesen). Und alle Jahre wieder kocht fast alles, was irgendwie meint, mit diesem Bereich etwas zu tun zu haben, sein Süppchen mit diesen Zahlen.
Die Liste ließe sich beliebig fortführen -- und egal, was für eine Agenda aus den OECD-Zahlen zusammenkonstruiert wird, entscheidend ist immer, dass Deutschland im Vergleich zu irgendwelchen Staaten rotzschlecht oder alternativ doch gar nicht so schlecht aussieht.
Dabei ist es für einzelne Studis, Lehrende oder SchülerInnen nachgerade unglaublich egal, ob das eigene Vaterland mehr oder weniger ausgibt, bessere oder schlechtere PISA-Scores hat, die Kinder kürzer oder länger in den Schulen einsperrt, als die Vaterländer anderer Menschen in ihrer Position. Interessant ist da doch eher, ob sie lernen, lehren, forschen können, was sie wollen und vielleicht auch, was gesellschaftlich notwendig ist. Relevant würde der Vergleich allenfalls, wenn wir einen wüsten Rückfall in Nationalismus, Patriotismus und Völkerschlachten hätten. Sollte der letzte Satz angesichts des real existierenden Echos auf die OECD-Rankings aber wirklich noch im Konjunktiv stehen?
Im Ernst geht es der OECD natürlich auch nicht um die Interessen der mit Bildung irgendwie beschäftigten Individuen. Sätze wie "The level of educational attainment of the population is a commonly used proxy for the stock of 'human capital', that is, the skills available in the population and labour force" oder "Rising skill demands in OECD countries have made qualifications at the upper secondary level of education the minimum credential for successful labour market entry" machen eigentlich schon ausreichend klar, warum die OECD-Staaten das Geld für die 456-seitige Zahlensammlung hochhusten.
Dabei sind die Schätzungen der OECD zu Bildungsbeteiligung, Gender Issues und vielleicht sogar Lesefähigkeiten durchaus gerade dann interessant, wenn mensch herausfinden möchte, ob denn unser Bildungssystem in der Breite für aufgeklärte, selbstbestimmte und zur gesellschaftlichen Partizipation fähige Menschen sorgt (von tiefen Einsichten in Naturgeschichte, Kunst, das Universum und die Philosophie mal ganz zu schweigen). Umgekehrt ist allerdings auch fraglich, ob die Zahlen wirklich so großen Erkenntniswert haben, denn natürlich sind die meisten der Zahlen genau das, Schätzungen nämlich, und häufig, im Fall etwa von PISA-Ergebnissen, gar noch Scores aufgrund von durchaus nicht felsenfest stehenden Modellen. Skepsis schon allein aufgrund der nur selten angegebenen Fehlerschranken ist also angebracht.
Auch deshalb sollten gerade forschrittlichere Organisationen wie etwa der fzs vorsichtig sein, wenn sie sich in den Chor der InterpretInnen einreihen, schon gar unter einem Horrortitel Marke "OECD-Studie alarmierend für Deutschland". Hätte es nicht "OECD: Bildungssystem der BRD ungerecht, ausgrenzend und unwirksam" auch getan? Aber immerhin, ein Satz wie "Wenn Bildungspolitik noch stärker in den Wettbewerb zwischen den Ländern überführt wird, dann werden gerade soziale Gesichtspunkte auf der Strecke bleiben" mag da ein bisschen versöhnen. Dafür hat er eigentlich nichts mit den Ergebnissen aus Paris zu tun.
Derweil gilt: Argumente wie "die anderen geben mehr Geld aus, und zur Rettung Deutschlands müssen wir mehr in die Bildung investieren" sind und bleiben etliche Kilometer daneben. Wenn Frontalunterricht vergöttert ("Spitzenkräfte für die Lehre gewinnen"), schon die Harmlosigkeit der VS vom Typ HRG6 niederprozessiert, das gesamte Lehr- und Forschungspersonal im tertiären Bereich beliebig prekarisiert wird, Lehrpläne von Privatunternehmen geschrieben und Unis zu zu solchen gemacht werden, dann haben fortschrittlich denkende Menschen wahrhaftig genug andere Kritikpunkte als "die da gefährden Deutschlands Zukunft" und andere Forderungen als "12% vom Bruttosozialprodukt".