Anmerkungen zur Zeitschrift "Emma" und der Mediendebatte über "Parallelgesellschaften"
Wieder hat uns die attac-Lektüregruppe einen Beitrag geschickt. Beiträge anderer Gruppen wären uns ebenso willkommen... -- Red.
In ihrem Kommentar zu den vergangenen Vorstadtunruhen unter französichen Immigranten-Jugendlichen suchte Alice Schwarzer, Deutschlands prominenteste Mainstreamfeministin und inzwischen gern gesehener Talkshowgast bei anspruchsvollen TV-Formaten wie "Johannes B. Kerner", nach den "wahren Gründen" der Ereignisse und kam zu einem überraschenden Ergebnis: nicht die soziale Misere der Jugendlichen sei Ursache für die Zusammenstöße mit der Polizei gewesen, sondern der "Machismo" der "Parallelgesellschaften".
In der April- Ausgabe von "Emma" stößt Schwarzer in das gleiche Horn und bläst zum Angriff gegen deutsche "Migrationsforscher", "rot-grünes Multi-Kulti" und "politisch-korrekten Anti-Rassismus-Diskurs".
"Gewalt ist cool. Nur ein gewaltbereiteter Mann ist ein ´echter Mann´".Diese unter "muslimischen" Einwanderern weit verbreitete Haltung sei die eigentliche Ursache für die französischen Vorstadtunruhen gewesen, so Alice Schwarzer. Die hohe Arbeitslosigkeit, die Perspektivlosigkeit und die Tristesse der Elendsviertel rund um Paris -- das alles sind für die feministische "Analytikerin" zu vernachlässigende Größen. Schließlich seien andere ja auch arm und arbeitslos und trotzdem weniger gewaltbereit als die jungen Einwanderer-Machos.
Der konkrete Anlass der Proteste, der Tod zweier Jugendlicher, die bei der Flucht vor der Polizei ums Leben kamen sowie das gewohnt fantasielos-repressive Vorgehen des französischen Staates mit monatelangem Ausnahmezustand, Verhängung von Ausgangssperren und Verhaftung von 3000 (!) Personen -- das alles ist Schwarzer keinen Halbsatz wert. Vielmehr wurde für sie die französische Polizei zum Opfer von Sexismus. "Fils de pute- Hurensöhne, lautet die Schmähung der Polizeibeamten durch die Steine und Brandsätze werfenden Jugendlichen", klagt die Emma-Herausgeberin.
Die Polizei als bedauernswertes Opfer von männlichem Chauvinismus -- ein immerhin recht origineller Blick auf die französischen Ereignisse. Auf der andere Seite moniert Alice Schwarzer: "Mädchen waren bei den Barrikadenkämpfen nicht dabei". Soll man das etwa so verstehen, dass sie ihren muslimischen "Freundinnen" wünscht, ebenfalls in den "Genuss" gewalttätiger Auseinandersetzungen mit der Polizei zu kommen?
Einen Bündnispartner erblickt die bekannte Feminstin indes im französischen Innenminister und politischen Rechtsaußen Nicolas Sarkozy, für sie der "Mann der eisernen Faust" und einziger Verfechter eines "offensiven Integrationskurses" mit dem Ziel, "die Muslime aus den Parallelgesellschaften zu holen". Wie ein solcher "offensiver Integrationskurs" aussieht, offenbarte sich im Verlauf der Unruhen, als Sarkozy schwerbewaffnete Sondereinheiten in den "Problemvierteln" patroullieren ließ, Hausdurchsuchungen und Schnellgerichtsverfahren anordnete, alles selbstverständlich in der Absicht, die unterdrückten Frauen aus den Banlieues zu befreien.
Auch in der April-Ausgabe von Emma liefert Schwarzer eine ähnliche "Analyse" diesmal deutscher Immigranten-Verhältnisse, die in bedenklicher Weise typische Clichés der politischen Rechten bedient.
Ziel ihres Angriffs: "rot-grüne Multi-Kulti"-Politik, "Migrationsforscher" und linke Organisationen wie Kanak Attak, die zum "interkulturellen Dialog" aufriefen und dadurch "die wahren Probleme verschleier(te)n". Diese lägen -- wen wundert's -- in erster Linie im männlichen "Gewaltkult" der Einwanderergesellschaft. Zur Untermauerung ihrer These führt Schwarzer Kriminalstatistiken an, denen zufolge Straffälligkeit und Gewaltbereitschaft unter türkischen Jugendlichen erheblich höher seien als unter deutschen Gleichaltrigen -- natürlich ohne die sozialen Ursachen auch nur im Entferntesten in den Blick zu nehmen. Die Emma-Chefin polemisiert gegen linke Intellektuelle, die mehr mit ihrer Selbstdarstellung als mit dem "Begreifen der Welt" befasst seien und ist dabei selbst in ihrer eindimensional-reduzierten Sichtweise wohl kaum zu überbieten.
An emanzipatorischen Vorschlägen zur Verbesserung der Situation von Migrantinnen hat sie hingegen so gut wie nichts vorzubringen. Die Vermittlung von Sprachkenntnissen, die Ermöglichung von Bildung und Berufstätigkeit -- für Alice Schwarzer scheinen das alles vollkommen untergeordnete Faktoren zu sein. Vor so einem "Feminismus", dem die konkreten Belange von Frauen egal sind und der sich in Einklang mit konservativen Politikern befindet, die von jeher für eine rigide Ausländerpolitik stehen, kann man die muslimischen Frauen der "Parallelgesellschaften" nur warnen.
1 Alice Schwarzer in Emma 1/06 über die Merkmale der "Parallelgesellschaften" [Zurück]
2 Nicolas Sarkozy über die revoltierenden Jugendlichen [Zurück]