Die Kohle muss weg
In einer Pressemitteilung äußern die Fachschaft Germanistik und die studentischen Mitglieder des Fakultätsrats der Neuphilologischen Fakultät sich zur Vergabepraxis von Studiengebühren am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg.
Am vergangenen Donnerstag, den 14.02.2008, tagte eine selbst eingesetzte Kommission zur Verteilung von Studiengebühren am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg und verteilte mit über 100 000 Euro kurzerhand fast ein Drittel der gesamten Studiengebühren des kommenden Semesters. Die eigentliche Kommission war nicht mehr handlungsfähig gewesen, nachdem sowohl die vier studentischen Mitglieder als auch der Vorsitzende der Kommission, das einzige professorale Mitglied, zurückgetreten waren.
Die beratenden Kommissionen auf Fachebene dienen in Heidelberg zur Vorbereitung der Beschlussfassung über die Studiengebühren im Fakultätsrat. Sie sollen die Mitwirkungsmöglichkeiten der Studierenden verbessern und sind daher mehrheitlich mit Studierenden besetzt. Der derzeit amtierende geschäftsführende Direktor des Germanistischen Seminars hatte sich nach den studentischen und professoralen Rücktritten selbst zum Vorsitzenden der Kommission ernannt, einen der verbliebenen Mittelbauvertreter ersetzt, die Kommission kurzerhand in dieser Zusammensetzung ganz ohne Studierende einberufen und Empfehlungen über Ausgaben in Höhe von über 100 000 Euro beschließen lassen. Nach den geltenden Bestimmungen sind diese Empfehlungen zwar noch im Fakultätsrat zu beraten und abzustimmen; diese Beratung wird an der betroffenen Neuphilologischen Fakultät von der professoralen Mehrheit jedoch in der Regel auf ein Durchwinken verkürzt - oder gar vom Dekanat gleich mittels Eilentscheid umgesetzt. Angesichts der bisherigen Praxis an der Neuphilogischen Fakultät ist nun zu befürchten, dass die Vorschläge der vorgeblichen Germanistik-Kommission von der Fakultätsleitung oder dem Dekan der Fakultät via Eilentscheid zur Umsetzung kommen. Die Mitbestimmungsrechte des Fakultätsvorstands bzw. des Fakultätsrats wären damit verletzt und Studierende zu keinem Zeitpunkt an der Beschlussfassung beteiligt.
Die Studierenden des Germanistischen Seminars wurden von offizieller Seite bislang nicht über diesen Missstand in Kenntnis gesetzt. Die Fachschaft Germanistik und die studentischen Mitglieder des Fakultätsrats der Neuphilologischen Fakultät protestieren mit Nachdruck gegen dieses Vorgehen und rufen das Rektorat und den Fakultätsvorstand der Fakultät auf, dieses Verfahren nicht durch nachträgliche Ernennungen oder Eilentscheide zu legitimieren.
Am 30.01.2008 traten die studentischen Mitglieder der beratenden Kommission zur Verteilung von Studiengebühren des Germanistischen Seminars mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt zurück. Dem Rücktritt vorausgegangen waren zunehmend Spannungen darüber, dass die Studierenden unvollständige Anträge nicht befassen wollten oder Anträge, die sie nicht sinnvoll fanden, ablehnten. Lehrende aus der Germanistik, die nicht selbst Mitglieder der Kommission sind, vertraten zunehmend die Position, sie hätten ein Anrecht auf "ihr" Geld und die Studierenden kein Recht, Anträge von Lehrenden abzulehnen, da sie "ohnehin keine Ahnung" hätten (so der Tenor). Den Studierenden in der beratenden Germanistikkommission wurde nahe gelegt, ihre Verbesserungsvorschläge oder Nachfragen sein zu lassen, da es nur um ihre Zustimmung gehe. Die Funktion der Kommission und vor allem die ihrer studentischen Mitglieder war daher nicht mehr ersichtlich. Dass seitens des Lehrkörpers ein solcher Druck auf die Studierenden in der beratenden Kommission ausgeübt wird, ist umso bizarrer, da die Empfehlungen dieser Kommission für den letztendlich entscheidenden Fakultätsrat ohnehin nicht bindend sind und dieser - das hat sich in der Vergangenheit häufig genug gezeigt - in anderen Belangen auch keine Bedenken hat, gegen seine eigenen Kommissionen und insbesondere gegen studentische Vorschläge zu stimmen. Versuche der Studierenden auf breiter Grundlage Anträge zur Verbesserung der Lehre zu erarbeiten, scheiterten auch in anderen beratenden Studiengebührenkommissionen daran, dass den Studierenden Informationen verweigert und ihre Bedenken und Ergänzungen nicht aufgegriffen wurden.
Die Studierenden der Fachschaft Germanistik, die bei einer zielgerichteten Verwendung der Gelder zur Verbesserung der Lehre mitwirken wollten, sind über das Verhalten insb. des Geschäftsführenden Direktors sowie dem daraus folgenden Vertrauensbruch -- der Sitzungstermin der 'neuen' Kommission wurde im Seminar nicht einmal zuvor öffentlich bekannt gegeben, damit alle Angehörigen das Seminars Anträge hätten stellen können -- maßlos enttäuscht: "Wir sehen mittlerweile einen weiteren Vertrauensaufbau und inhaltliche Zusammenarbeit mit dem derzeit Verantwortlichen in weite Ferne gerückt. Als Minimum demokratischer Umgangsformen fordern wir nun eine formal saubere Lösung bei der Verwendung unserer Gebühren, denn schließlich sind es studentische Gelder, über die hier entschieden wurde", sagte ein Mitglied der Fachschaft.
Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Studierendenvertretung die Frage, weshalb eine beratende Kommission aufrechterhalten werden sollte, wenn ihre Aufgabe sich im Verteilen ausschließlich positiver Antragsbescheide erfüllt. Die Antwort liegt nahe: die Professorenschaft nutzt die studentischen Stimmen zur Legitimierung ihrer Anträge; jede studentische Gegenstimme wirft Fragen auf und stört die künstlich erzeugte Harmonie des "Heidelberger Modells". Zudem wurden die studentischen Mitglieder von anderen Mitgliedern der Kommission wie des Lehrkörpers am Seminar teilweise massiv unter Druck gesetzt und dazu genötigt Anträge anzunehmen, auch wenn diese nicht der Verbesserung der Lehre dienten, sondern lediglich Löcher stopfen, für deren Entstehen keine Gründe genannt werden möchten. So fehlten mit einem Male und für die Professorenschaft aus unerklärlichen Gründen tausende Euro im Haushalt, aus denen zuvor Bücher und Tutorien finanziert wurden.
Ferner wurden bei der Umsetzung einzelner Anträge vom Antragstext deutlich abgewichen. So geschehen etwa bei der Finanzierung eines PC-Pools am Germanistischen Seminar: Nachdem der Kommission ein Antrag für die Finanzierung von Aufsichten in einem bereits mehrheitlich mit Studiengebühren finanzierten PC-Pool vorgelegt wurde, stimmten die Studierenden dem zu - sofern diese Aufsichten die NutzerInnen des Pools auch technische EDV-Kenntnisse besäßen, um etwa bei der Vorbereitung von Präsentationen oder Formatierungen Studierende zu unterstützen. Die dann innerhalb kürzester Zeit eingestellten Aufsichten verfügen jedoch (nach eigener Aussage) über keinerlei technische Beratungskompetenzen. Vollends absurd wird die Beaufsichtigung des PC-Pools vor dem Hintergrund, dass die Geräte im PC-Pool durch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen wie Schlösser und Stahlseile vor Diebstahl geschützt werden. Darauf angesprochen, ob es nicht besser wäre, sich für alle Studierenden für geringere Studiengebühren einzusetzen und wie in anderen universitären PC-Pools nur auf die Sicherungsmaßnahmen und die gegenseitige Kontrolle der Studierenden zu bauen, warfen Professoren den Studierenden aus der Kommission vor, sie gönnten ihren KommilitonInnen das Geld für die Aufsicht nicht.
Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass das Dekanat und das Rektorat ein politisches Interesse daran haben, dass die Studiengebühren irgendwie ausgegeben werden und alle beschlossenen Maßnahmen als positive Maßnahmen dargestellt werden können. Probleme oder Kritik werden, auch in anderen Fächern der Universität, verschwiegen oder unterdrückt. Eilentscheide oder mündliche Anträge, die sich hinterher nicht mehr rekonstruieren lassen, nehmen zu. Da die Gelder in vielen Fällen nicht sinnvoll eingesetzt werden können, ist dies die einzige Art, nicht nachvollziehbar zu machen, was mit dem Geld geschieht. "Die Mängel sind oft so grundlegend, dass sie mit Studiengebühren nicht behebbar sind, was fehlt, ist eine dauerhafte Finanzierung - aber dafür setzen sich die Professoren und Professorinnen nicht ein, sondern sie machen es sich mit den Studiengebühren bequem", so Sven Lehmann, Studierendenvertreter der Fachschaft Germanistik. Mangels Kreativität und eingehender Beschäftigung kommen die Lehrenden auch nicht auf innovative Ideen zur Verwendung der Gelder. Der Dekan der Neuphilologischen Fakultät hatte Ende Januar eigens zu einem Workshop eingeladen, um Ideen auf den Weg zu bringen. Das Ergebnis war ernüchternd: nicht eine Idee wurde ersonnen. Der Druck, das Geld irgendwie auszugeben, nimmt seitdem erst recht zu.
Das Rektorat hat inzwischen auf die großen "Rücklagen" in einzelnen Fächern reagiert, indem es angekündigt hat, die nicht ausgegebenen Gelder in nächster Zeit zurückzuholen und selber auszugeben. "Jetzt haben die Professoren Angst, dass ihr schönes Geld verloren geht! Und alle ihre Bekannten, die gerade keine Stelle haben, bekommen jetzt eine Dozentur für irgendwas, Hauptsache man wird mindestens 30.000 Euro los. Die Hauptsorge ist, dass der Rektor sich keinen neuen Dienstwagen kauft!" so eine studentische Vertreterin. "Die Ankündigung des Rektorats hat die Sache auf die Spitze getrieben, jetzt wird nur noch rausgehauen: Möbel, Bücher, Stellen - wohin die Sachen kommen, wo die Leute arbeiten sollen oder wer sich dafür interessiert, ist nachrangig." Möbel im Wert von 36.000 Euro, Bücher im Wert von 14.000 Euro - vermutlich mehr als im ganzen letzten Jahr insgesamt dafür ausgegeben wurde, wurden nun vom geschäftsführenden Direktor des Germanistischen Seminars zusätzlich beantragt und in der selbst eingesetzten Kommission abgesegnet. "Die Fachschaft vermutet, dass der Direktor durch dieses Verfahren den Studierenden andeuten will, dass sie so gar nicht mehr mitreden können und letztendlich doch lieber wieder in die Kommission zurückkommen werden - bevor der Direktor auch noch neue studentische Mitglieder ernennt", so ein Fachschaftssprecher. Doch die Verfahrensordnung der Uni Heidelberg kennt keinen vorübergehenden Rücktritt und keine Ernennungen durch geschäftsführende Direktoren. Nach der Verfahrensordnung der Universität Heidelberg und Beschlüssen des Senats zu den beratenden Studiengebührenkommissionen werden die Mitglieder beratenden Kommissionen im Fakultätsrat gewählt - Selbsternennung kennt die Universität Heidelberg bisher für kein Gremium. Beschlussfähig sind Kommissionen, wenn die Hälfte der Mitglieder anwesend ist oder die Sitzung dreimal hintereinander einberufen wurde -; im vorliegenden Fall waren, unabhängig von ihrer rechtswidrigen Einsetzung, weniger als die Hälfte der sieben Mitglieder anwesend. Einberufen wird eine Sitzung vom Vorsitzenden oder der Mehrheit der Mitglieder, doch beide sind im vorliegenden Fall zurückgetreten. Formal ist der ganze Vorgang damit ein einziger Rechtsbruch.
Doch es ist zu befürchten, dass all diese Formfehler ignoriert werden, damit das Geld entsprechend der Rektoratslinie ausgegeben werden kann. Eilentscheide über Stellen oder andere größere Ausgaben waren bei Studiengebühren schon bisher keine Seltenheit. Auch das Rektorat hat ein Interesse daran, dass viel Geld ausgegeben wird - die Universitätsleitung versucht seit langem, zusätzlich zu den 500 Euro Studiengebühren zusätzliche "Studienbeiträge" einzuziehen; dieses Ziel wurde auch in der Grundordnung festgeschrieben. Sollten bereits die Studiengebühren nicht ausgegeben werden können, wird dies politisch nur schwer zu begründen sein.