Zum ersten Mal seit vielen Jahren unterblieb in der letzten Nacht ein Spuk, der die Gemüter der Heidelberger Studis wieder und wieder zu erhitzen vermochte, das traditionelle "Maiansingen" der Korporierten nämlich -- oder unterblieb doch im wesentlichen. Schon in den letzten Jahren hatten sich die liberaleren Verbindungen damit abgefunden, dass rund um den Brunnen am Heidelberger Marktplatz vor der Heiliggeistkirche in der ersten Stunde des ersten Mai nicht gut singen ist, und nur die Speerspitzen der Reaktion (insbesondere die Normannia, die zum Tod von Michael Kühnen ein Flugblatt unter die Leute brachte, das den subtilen Unterschied zwischen Kameradenliebe und äffischer Perversion erläuterte) versuchten noch, die drei Strophen unserer Nationalhymne gegen eine lärmende Menge durchzusetzen.
In der letzten Nacht nun hatten sich rund 400 HeidelbergerInnen am Marktplatz versammelt, wohlausgerüstet mit verschiedensten Lärminstrumenten, was die Herren mit den lustigen Kostümen offenbar endgültig abschreckte -- vielleicht hat auch schon die Demo am Nachmittag vorher, die rund 250 Leute vor allem aus dem autonomen Spektrum quer durch die Stadt führte, ein Ihres getan. Gerüchten zufolge soll es ein kurzes Singen irgendwo im Wald in der Umgebung des Schlosses gegeben haben. Bestätigt ist das aber nicht. Die Redaktion hofft nun, dass sich die engagierten Bürger am Marktplatz über diesen Erfolg freuen, statt enttäuscht zu sein, dass ihnen ein recht archaisches Schauspiel entging.