Ist das noch Satire?
Schulhistorisch wird gemeinhin davon ausgegangen, dass nach dem finsteren Mittelalter mit einem a priori überholten Kanon, mit der Neuzeit ein geistreich durchdachtes, wenn auch etwas überladenes Curriculum an den Schulen Einzug hält. Heute nun stünde -- so die Feuilletons in der Bugwelle von PISA -- mit der Kompetenz- und Outputorientierung eine neue Stufe in der Schulgeschichte an. Die UNiMUT-Redaktion wird im Folgenden jedoch zeigen, dass dieser postulierte Schritt bereits 1763 vollzogen war. Und zwar in einer Weise, die Brüche vermeidet und darüber hinaus auch alle Probleme der hohen Schulen, zumal der in Heidelberg, löst.
1763. Norddeutsche Streusandweiten. Und mittendrin: die preußische Schule vor Stein und Humboldt. Modern. Schlank. Effizient. International ausgerichtet. Hervorragend aufgestellt. Bei klaren Lehrplänen wie dem oben abgebildeten kann es zu den gerade bei Magisterstudiengängen häufig beklagten Orientierungsschwierigkeiten nicht kommen, und Schlüsselkompetenzen wie Psalmodieren oder das Unterscheiden von lauten und stummen Buchstaben sind elementar für die Bewährung am Arbeitsmarkt. Wen wundert's, dass Humboldt out ist -- doch bisher hat niemand gewagt, auch offen die Konsequenzen daraus zu ziehen!
Jenseits aller Worthülsen und allen parteipolitischen Gezänks zeigt sich, dass Preußen 1763 alle wesentlichen Elemente von Bachelor-Studiengängen bereits in der Elementarschule realisiert hatte, etwas, woran das Rektorat von Deutschlands ältester Hoher Schule auch im Jahr 2005 noch zu scheitern droht.
Der dokumentierte Lehrplan sieht eine dreijährige Ausbildung vor -- eine bemerkenswerte Straffung gegenüber unserer fett gewordenen neunjährigen Pflichtschule und exakt im von Bologna und Eckwertepapieren vorgesehenen sweet spot von sechs Semestern für einen Bachelor. Er ist weiterhin deutlich modularisiert (vgl. die Zeilen) und zeigt innerhalb der Zeilen geradezu vorbildlich choreografierte Module, die den SchülerInnen klare Orientierung über ihren Lernfortschritt erlauben.
Unser Dokument dokumentiert statt des behaupteten Übergangs vom Kanon zu Curriculum deren erfolgreiche Verschmelzung mit festem Blick auf Kompetenzorientierung: Verschulung (auswendig Lernen zentralen Bildungsguts), curriculare Abstimmung aufeinander aufbauender Lernziele (zwei Buchstaben, stumme und laute Buchstaben, ABC-Übungen) und basale Kompetenzen (Beten, Buchstabieren, Aufschlagen der Bibel).
Besonders bemerkenswert finden wir hierbei die Querschnittsfächer ("Üben des Kirchenlieds", "Singen einiger Kirchenlieder", "Lesen eines neuen Stücks aus dem Katechismus"). Sie verbinden die drei klassischen Säulen guter Bildung in vollendeter Harmonie. Bei aller Formalisierung und Curricularisierung ein klares Bekenntnis zu Kanon und Sinn. Wie sehr gehen solche Inhalte der Universität von heute ab! Wie deutlich werden hier all diejenigen Lügen gestraft, die behaupten, bei den Bachelor-Studiengängen bliebe die umfassend gebildete Persönlichkeit auf der Strecke!
Die Redaktion meint: Prüfet alles und behaltet das Gute! Unser Vorschlag an das Rektorat lautet daher, diesen Lehrplan als Rahmenprüfungsordnung für alle Fächer zu übernehmen, und unsere Forderung an die FSK, ihren Antrag auf Einrichtung des Studiengangs "German and European Classics" zurückzuziehen.
Was wird gebaut, wo wird gearbeitet, und: Wo nicht mehr?
...dass im Februar und März bis zu 200000 Studis in Quebec für die Abschaffung von Studiengebühren gestreikt haben? Die Regierung dort hatte 100 Millionen kanadische Dollars an Beihilfe für ärmere Studierende gestrichen und wollte zusätzlich noch an Colleges (die dort etwas zwischen Berufs- und Fachschule bzw. Berufsakademie sind) Studiengebühren einführen. Wer mehr wissen will: Die Education-Seiten von indymedia Quebec bieten Infos aus erster Hand -- wenn auch vor allem auf Französisch.
...dass Helmut Kohl nicht mehr regiert? Wahrscheinlich schon, die Uni Heidelberg merkte es aber Anfang März mal wieder so richtig. Die Kohl-Vertraute Ursula Lehr nämlich hatte zum Teil mit Bundesmitteln in Heidelberg das Deutsche Zentrum für Alternsforschung aufgebaut. Da Kohl nicht mehr viel zu sagen hat, hat Berlin jetzt die Mittel für dieses DZFA gestrichen, und weil weder Kohl noch Lehr über eine größere Lobby in Stuttgart verfügen, hat Fankenberg nun ingesamt den Stöpsel gezogen. Eine Erklärung dieses Vorgangs von einer, die es wissen muss, findet ihr auf der Webseite von Theresia Bauer, die im Zuge ihrer abseitigen Studiengebührenfantasien ja auch gerne mal Schwarz-Grün denkt. Von wegen "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus"...
...was die Uni Heidelberg in nächster Zeit bauen will? Die Landtagsdrucksache 13/4063 -- hier geht es um Gelder, die das Land im Rahmen des HBFG vom Bund haben will -- gibt Auskunft: 32 Millionen für den Neubau der Physik, 2 Millionen für den Ausbau des Netzes und ein Haufen Kram, der (vielleicht aus taktischen Gründen) bei der Medizin untergebracht wurde, teilweise aber eher mit den Endlosen Biochemischen Träumen des Rektorats zu tun hat (so etwa 28 Millionen für die Einrichtung des Biochemischen Zentrums in INF 328). Interessanterweise abwesend ist der Umbau der alten Krehl-Klinik, in die einige Altstadtfächer umziehen sollen -- für dessen Finanzierung soll die Uni Häuser in der Altstadt, unter anderem auch die gute, alte Lauerstraße 1, in der noch das ZFB sitzt, verkaufen.
...was "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandentschädigung nach §16 SGB II" sind? Nun, das ist einfach Krawattesisch für die 1-Euro-Jobs, die jetzt auch verstärkt in Unis auftauchen sollen. Vorsorglich stellt das MWK dazu schon mal fest, dass diese Sorte Arbeitsverhältnis keins ist, sondern eine "rein organisationshoheitliche Maßnahme des Dienstherren", woraus folgt, dass die 1-Euro-JobberInnen schon mal nicht vom Personalrat vertreten werden. Noch lustiger: Entgegen eines Urteils aus Schleswig-Holstein (wo, so das Ministerium, die Mitbestimmungsrechte wesentlich weiter gehen) verneint das Ministerium auch ein Mitspracherecht des Personalrats bei der Einrichtung von 1-Euro-Jobs. Macht euch also darauf gefasst, in unserer schönen Alma Mater demnächst jeder Menge 1-Euro-JobberInnen gegenüberzustehen.
...dass "die Konsequenzen, die mit der Immatrikulation verbunden sind, sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich" bringen? Dieser Auffassung ist das Ministerium, das vor ein paar Jahren noch argumentiert hat, eine Immatrikulation bringe geldwerte Vorteile von mindestens 1000 Mark pro Semester (und damit seine Einschreibegebühren rechtfertigen wollte). Nur gehts jetzt darum, dass es DoktorandInnen, die ernsthaft von der Uni beschäftigt sind, nicht mehr immatrikulieren will, und da sieht die Sache natürlich ganz anders aus. Auch ansonsten ist das Landtagspapier, aus dem diese Worte stammen, voll interessanter Logik und Wieselei. So lieben und kennen wir unser MWK.
...warum Erwin Teufel, der nach seiner Polit-Karriere noch ein Philosophiestudium machen will, dafür nicht im angeblich so spitzenunimäßigen Baden-Württemberg bleiben will? Die Antwort ist einfach: Er will seinem Wissenschaftsminister nicht die stolze Bilanz versauen. Diese Bilanz lautet: Das mittlere Alter der AbsolventInnen der Unis in Baden-Württemberg liegt nur noch bei 27.8 Jahren, und ihren Abschluss machen sie im Schnitt nach 11.1 Semestern. Der Rückgang von 13.4 Semestern 1991 ist natürlich ein Erfolg, und zwar einer der drei Stufen der raketengoilen Trotha-Frankenbergschen Hochschulreform. Eine angegreiste Protoleiche -- noch dazu ohne Abitur -- wie Teufel will mensch inmitten solch jung-dynamischer Helden natürlich nicht haben. Klar. Danke für die Rücksicht, an der Sie es sonst so oft haben fehlen lassen, Herr Teufel.
Walter I. Schönlein
Dieser Artikel wurde zitiert am: 03.05.2005, 11.05.2005
Frankenberg schafft SPVO ab
Publicity-Stunts sind für das MWK nichts neues -- mutig eine Niederlage als Sieg oder einen desaströsen Flop als die Wucht in Tüten zu verkaufen ist für eine Ansammlung dilettierender Dogmatiker wie eben das Ministerium eine klare Schlüsselkompetenz, ja Lebensnotwendigkeit. Das jüngste Beispiel ist allerdings besonders spektakulär.
Der Hintergrund: Letztes Jahr stritt ein Tübinger Student -- von der Öffentlichkeit kaum bemerkt -- vor Gericht um sein Zeugnis. Er hatte entdeckt, dass das Land 2001 im Zuge einer der üblichen Deregulierungen reguliert hatte, wie Studien- und Prüfungsordnungen auszusehen hätten -- angeblich, weil mit der damaligen UG-Novelle die Rechtskontrolle des Ministeriums über die Unis gelockert worden sei. Die entsprechende Verordnung, SPVO genannt, war so geheim, dass die meisten Unis und alle Menschen, die Studien- und Prüfungsordnungen schrieben, sie nicht kannten -- auch für uns war es nicht ganz einfach, ihren Text auszugraben -- und doch: Zwischen 2001 und 2005 durften in Baden-Württemberg innerhalb einer Regelstudienzeit von 8 Semestern höchstens 14 Prüfungsleistungen verlangt werden (die SPVO hatte auch noch einige andere Regelungen, doch spielen die für diese Geschichte keine Rolle).
Faszinierenderweise wusste offenbar auch im Ministerium niemand von der eigenen Verordnung, denn natürlich hatte sich das Ministerium in der ach so hochschulautonomen UG-Novelle von 2001 das letzte Wort über alles vorbehalten, hatte aber nie etwas gegen nicht SPVO-konforme Prüfungsordnungen unternommen. Es gibt Fächer, in denen zwischen 40 und 50 Prüfungsleistungen -- also über dreimal mehr als erlaubt -- verlangt werden.
Der Tübinger Studi hatte jetzt argumentiert, dass die vielen Prüfungsleistungen seiner Studienordnung sein Studium verzögerten und ihn gar in die Strafgebührenpflicht trieben -- und dass er deshalb ein Recht habe, sein Zeugnis bereits mit weniger Prüfungsleistungen zu bekommen. Uns ist leider nicht bekannt, wie der Prozess ausging, doch es wird gemunkelt, das MWK habe mit dem Studi einen Vergleich des Typs "Du hältst deinen Mund zu allem, was in diesem Raum gesagt wird, und dafür bekommst du dein Zeugnis" geschlossen.
Das Ministerium hat daraus eins gelernt: Verordnungen, auch wenn sie als "Eckwertepapiere" daherkommen, sind zweischneidig, vor allem, wenn sie offenbar von Bürokraten minderer Kompetenz verfasst werden. Eine Verordnung, die eher zur Gängelung der Unis gedacht war, konnte plötzlich zugunsten der Studierenden ausgelegt werden und wurde von den Unis auch noch ignoriert -- und wäre wohl weiterhin ignoriert worden. Um eine solche Verordnung umzusetzen, hätte es sowohl an der Uni als auch in Stuttgart Leute gebraucht, die (ggf. ihre eigenen) Erlasse über Prüfungsordnungen und die Prüfungsordnungen selbst verstehen -- fat chance.
Die Situation war also ernst, zumal mensch nie weiß, wie zuverlässig Schweigegelübde halten. Frankenberg, mal wieder ganz Macher, ließ die Notbremse ziehen und die erwähnte SPVO aufheben. Einem gewaltigen PR-Desaster knapp entkommen, setzt nun der Minister in einer geradezu dialektischen Presseerklärung gleich zu einem neuen Angriff an. Sein Glück ist, dass kürzlich das neue LHG verabschiedet wurde und er zur Verabschiedung schon getönt hatte, im Gesetz werde die Hochschulautonomie gestärkt (auch das kann natürlich getrost als realitätsferner PR-Stunt abgehakt werden). Da passt es gut, wenn Frankenberg jetzt, offenbar ohne rot zu werden, verkündet, die Panikaktion mit der SPVO belege "erneut, dass wir -- wie bei unserem Landeshochschulgesetz insgesamt -- den liberalen Weg der Eigenverantwortung in einem wettbewerblichen Hochschulsystem zu unserem politischen Credo gemacht haben". Geil.
Jetzt also können die Hochschulen schalten und walten, wie sie wollen (solange sie walten, wie es dem Minister genehm ist). 63 Klausuren im Grundstudium sind jetzt ebensowenig ein Problem wie 24. Beides wird dem Minister genehm sein, denn wenn es um das Hochschrauben vermeintlicher Leistungsanforderungen geht, sind sich Rektoren und Minister selten unangenehm.
Vielleicht hat aber auch die Uni Heidelberg aus dieser Affäre gelernt, denn das berüchtigte Dezernat 2 der ZUV ("Studium und Lehre") hat jüngst eine Stelle für für eineN wissenschaftlicheN MitarbeiterIn "zur Umsetzung der Studienstrukturreform" ausgeschrieben, wohl um dem endlosen Murksen in diesem Bereich etwas Struktur zu geben und jemanden zu haben, der/die die Papierflut aus etlichen Ministerien und Kommissariaten mit ihren munteren Vorschriften, wie Studiengänge auszusehen hätten, zu überschauen. Wörtlich heißt es in den Anforderungen an die BewerberInnen: "Sie verfügen über [...] einschlägige berufliche Erfahrungen im Hochschulbereich und sind mit den aktuellen Entwicklungen der Studienreform bestens vertraut. Sie verfügen über herausragende kommunikative Fähigkeiten sowie Überzeugungs- und Konfliktfähigkeit." Wenn das nicht wie die Beschreibung eines/r UNiMUT-MitarbeiterIn klingt...